Lieber nicht wissen?

Krankheitsangst: Jeder Dritte meidet Gesundheitsinfos

Trotz kostenloser Vorsorgeangebote will rund ein Drittel der Menschen nicht wissen, ob sie krank sind. Die Gründe reichen von Angst über kognitive Überforderung bis hin zu mangelndem Vertrauen in das Gesundheitssystem. Eine internationale Meta-Analyse zeigt, wie weit verbreitet die Informationsvermeidung ist – und was das für die Gesundheitspolitik bedeutet.

Zeichentrickfrau die sich die Auen, Ohren und den Mund zu halten
Verdrängung statt Vorsorge: Jeder Dritte will nicht wissen, ob er krank ist – ein emotionales Schutzverhalten mit Folgen. ©Daniel Berkmann/stock.adobe.com

Trotz kostenloser Vorsorgeangebote meiden viele Menschen medizinische Informationen – selbst bei potenziell lebensbedrohlichen Erkrankungen. Fast ein Drittel der Befragten will gar nicht wissen, ob sie krank sind. Die Gründe reichen von Angst über Überforderung bis hin zu mangelndem Vertrauen in das Gesundheitssystem.

Krankheiten früh zu erkennen, ist oft der Schlüssel für eine erfolgreiche Behandlung. Dennoch gehen zu wenige Menschen zu Vorsorge, Früherkennung oder Check-ups. Warum ist das der Fall? Mangelnde Aufklärung oder hohe Kosten können das Verhalten vielfach nicht erklären: In Deutschland etwa weisen Krankenkassen ihre Versicherten auf entsprechende Angebote hin, die Kosten werden vielfach übernommen. Was also hält Menschen davon ab?

Wissen schützt – doch viele wollen es lieber gar nicht wissen

Forschende des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin geben in ihrer Meta-Analyse eine durchaus überraschende Antwort: Rund ein Drittel der Menschen möchte nichts über mögliche schwere Erkrankungen wissen – selbst wenn sie potenziell betroffen sind. „Eine Möglichkeit ist, dass Menschen sich ganz bewusst zu gewolltem Nichtwissen entscheiden. Das ist ein Phänomen, das wir bereits aus anderen Lebenskontexten kennen und das ganz vielfältige Gründe haben kann“, sagt Prof. Ralph Hertwig, Berlin, einer der Mitautoren der Analyse.

Globale Analyse zeigt Verbreitung

Die Forschenden haben Daten aus 92 Studien mit insgesamt 564.497 Teilnehmenden aus 25 Ländern inklusive Deutschland analysiert. Sie wollten wissen, wie weit verbreitet die Vermeidung medizinischer Informationen ist und welche Gründe Menschen dafür haben. Derartige Prävalenzschätzungen fehlten bisher auf globaler Ebene. Dabei sind sie für die Ausgestaltung von Gesundheitssystemen entscheidend, etwa in Bezug auf aktuelle Bestrebungen, Menschen mehr Verantwortung für ihre eigene Gesundheit zu übertragen.

Die analysierten Studien umfassen unter anderem die Krankheiten Alzheimer, Huntington, HIV/Aids, Krebs und Diabetes. Als Informationsvermeidung definierten die Autoren „jede Form von Verhalten, die darauf abzielt, die Beschaffung verfügbarer, aber potenziell unerwünschter Informationen zu verhindern oder zu verzögern“. Dazu gehört beispielsweise, Arztbesuche hinauszuzögern oder gar nicht erst wahrzunehmen, medizinische Tests nicht durchzuführen oder die Ergebnisse nicht zur Kenntnis zu nehmen, Aufklärungsmaterialien zu ignorieren.

Warum viele die Realität meiden

Das Phänomen, die Augen insbesondere vor schweren Krankheiten zu verschließen, ist demnach keineswegs ungewöhnlich: Fast ein Drittel der Studienteilnehmenden meidet medizinische Informationen oder wird sie wahrscheinlich meiden. Am höchsten war die Quote bei den beiden unheilbaren neurodegenerativen Krankheiten. Bei Alzheimer lag sie bei 41%, bei Huntington bei 40%. Bei schweren, aber behandelbaren Krankheiten wie einer HIV-Infektion oder Krebs sank sie auf 32 respektive 29%. Mit 24% am geringsten ausgeprägt, aber immer noch bedenklich hoch, war das Vermeidungsverhalten bei Diabetes, der zwar chronisch, aber gut behandelbar ist.

Angst, Überforderung, Misstrauen: Die Hauptgründe

Besonders aufschlussreich ist die Analyse der Gründe. Die Forschenden haben insgesamt 16 wichtige Faktoren ermittelt, die ein Vermeidungsverhalten begünstigen – weder Geschlecht noch ethnische Zugehörigkeit fielen darunter. Die stärksten Prädiktoren waren vielmehr:

  • kognitive Überforderung, weil beispielsweise eine Krebserkrankung komplex und aufreibend sein kann,
  • ein gering ausgeprägtes Gefühl der Selbstwirksamkeit, also der Eindruck, die Gesundheit nicht selbst in die Hand nehmen zu können,
  • die Furcht vor Stigmatisierung etwa durch einen positiven HIV-Test und schließlich
  • mangelndes Vertrauen in das medizinische System und damit eine geringere Hoffnung, gut behandelt zu werden.

Aufgrund der Datenlage nicht untersuchen konnten die Forschenden, in welchem Ausmaß die Vermeidung den Gesundheitszustand der Bevölkerung beeinflusst. Dazu sind weitere Studien nötig. Zudem zogen sie keine direkten Vergleiche zwischen einzelnen Ländern. Die Studie zeigt also nicht, ob das Verhalten etwa in Deutschland anders ist als in Frankreich oder den USA.

Fazit

Was sich daraus für die Gesundheitspolitik ableiten lässt:
Für die künftige Gesundheitspolitik lassen sich dennoch wichtige Schlüsse ziehen: Die Vermeidung medizinischer Informationen ist, so die Studienergebnisse, keineswegs ein ungewöhnliches menschliches Verhalten und auch nicht zwingend irrational. Die Forschung zeigt vielmehr den starken Einfluss des gesellschaftlichen und strukturellen Umfelds auf.

„Unsere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass ein Rückgang des Vertrauens mit einem Anstieg der Informationsvermeidung einhergeht“, sagt Erstautor der Studie Konstantin Offer, Berlin. „Die Steigerung des Vertrauens in das medizinische System könnte daher zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit medizinischen Informationen führen“, so Offer weiter. Die in der Studie ermittelten Gründe für Vermeidungsverhalten bieten damit wichtige Ansatzpunkte für politische Maßnahmen.

FAQ – Warum viele Menschen medizinische Informationen meiden

Warum gehen viele Menschen trotz kostenloser Vorsorgeuntersuchungen nicht zum Arzt?

Viele Menschen meiden Vorsorge, weil sie Angst vor einer Diagnose haben, sich überfordert fühlen oder dem Gesundheitssystem misstrauen. Die Kosten sind in Deutschland meist nicht das Problem – Vorsorgeuntersuchungen werden oft von den Krankenkassen übernommen.

Welche Krankheiten werden am häufigsten verdrängt?

Laut Studien wird vor allem bei unheilbaren Erkrankungen wie Alzheimer oder Huntington medizinisches Wissen gemieden. Aber auch bei Krebs, HIV oder Diabetes vermeiden viele Betroffene bewusst Informationen oder Tests.

Welche psychologischen Gründe spielen eine Rolle bei der Informationsvermeidung?

Zentrale Gründe sind Angst, kognitive Überforderung, ein geringes Gefühl von Selbstwirksamkeit sowie die Furcht vor Stigmatisierung. Auch mangelndes Vertrauen in Ärzte oder das Gesundheitssystem verstärkt dieses Verhalten.

Welche Folgen kann es haben, wenn man medizinische Informationen ignoriert?

Wer Arztbesuche hinauszögert oder Tests meidet, riskiert eine späte Diagnose. Das verschlechtert oft die Behandlungschancen – gerade bei Krankheiten wie Krebs oder Diabetes, die früh erkannt besser behandelbar sind.

Wie lässt sich Informationsvermeidung im Gesundheitswesen reduzieren?

Aufklärung, niedrigschwellige Angebote und eine vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung sind entscheidend. Hilfreich ist es auch, komplexe Informationen verständlich aufzubereiten und den Patient*innen Mut zu geben, aktiv Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen.


Quellen

Literatur: Offer K et al. Ann Behav Med 2025; 59: kaaf058. DOI: 10.1093/abm/kaaf058
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin