Demografie & Gesundheit im Wandel
Die Lebenserwartung steigt nicht mehr so schnell wie früher – das zeigen neue internationale Studien. Besonders für Menschen, die zwischen 1939 und 2000 geboren wurden, ist die 100-Jahre-Marke kaum erreichbar. Der medizinische Fortschritt stößt aktuell an Grenzen, und die großen Zugewinne der Vergangenheit lassen sich heute nicht mehr wiederholen.

Die Frage, wie weit die Lebenserwartung in Zukunft steigen wird, ist in der Wissenschaft höchst umstritten. Aus heutiger Sicht stieg die Lebenserwartung zu Beginn des 20. Jahrhunderts in schwindelerregendem Tempo an.
Langlebigkeit: Der Trend kehrt sich um
So erreichten Menschen, die 1900 geboren wurden, ein Durchschnittsalter von 62 Jahren, während diejenigen, die 1938 geboren wurden, etwa 80 Jahre alt wurden. Dürfen Menschen, die zwischen 1939 und 2000 geboren wurden, einen ähnlichen Anstieg der Lebenserwartung erwarten? Nein, so die Antwort einer aktuellen Analyse für 23 Länder mit hohem Einkommen und niedriger Sterblichkeit.
„Wenn die heutigen Generationen dem gleichen Trend folgen würden wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, könnte beispielsweise jemand, der 1980 geboren wurde, mit einer Lebenserwartung von 100 Jahren rechnen”, erklärt José Andrade, Erstautor der Studie und Forscher am MPIDR. „Wir haben untersucht, ob sich das Anstiegstempo der Lebenserwartung für die derzeit lebenden Kohorten verlangsamt.“
Was die Prognosemethoden verraten
Zu diesem Zweck haben der Wissenschaftler und seine Kollegen die Lebenserwartung dieser Generationen prognostiziert. Ihre Berechnungen basieren auf Daten aus der Human Mortality Database (HMD). Mithilfe von 6verschiedenen Methoden zur Sterblichkeitsprognose – statistische Verfahren, die auf der Grundlage vergangener und aktueller Sterblichkeitsdaten fundierte Vorhersagen über die zukünftige Lebenserwartung treffen – schätzte das Forschungsteam die zukünftige Entwicklung der Lebenserwartung.
„Um robuste Ergebnisse zu gewährleisten, haben wir nicht nur eine Methode verwendet, sondern mehrere: einige etablierte, darunter die Weltbevölkerungsprognosen der Vereinten Nationen, und andere, die den neuesten Stand der Sterblichkeitsprognosen repräsentieren“, so Andrade.
Zur Erstellung der Kohortensterblichkeitsprofile wurden 2 Hauptansätze verwendet:
- periodenbasierte Methoden: Dazu gehören Methoden wie Lee-Carter, Smooth Constrained Mortality, Compositional Data Analysis und die Weltbevölkerungsprognosen der Vereinten Nationen (2024)
- kohortenbasierte Methoden, darunter Linear Lee-Carter und Cohort Segmented Transformation Age-at-death Distributions
Warum die 100 Jahre aktuell kaum erreichbar sind
„Alle Prognosemethoden zeigen, dass die Lebenserwartung der zwischen 1939 und 2000 Geborenen langsamer steigt als in der Vergangenheit. Je nach verwendeter Methode verlangsamt sich der Anstieg um 37–52%“, erklärt der Wissenschaftler (►Abb.). „Wir sagen vorher, dass die 1980 Geborenen im Durchschnitt nicht 100 Jahre alt werden und keine der Kohorten in unserer Studie diesen Meilenstein erreichen wird. Dieser Rückgang ist vor allem darauf zurückzuführen, dass schnelle Langlebigkeitsgewinne in der Vergangenheit weitgehend auf große Verbesserungen der Lebenserwartung in sehr jungen Jahren zurückzuführen waren.“

Früher versus heute – Generationenvergleich
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sank die Kindersterblichkeit aufgrund medizinischer Fortschritte und anderer Verbesserungen rapide. Dies führte zu einem raschen Anstieg der Lebenserwartung. Die Sterblichkeit in diesen Altersgruppen ist jedoch bereits so niedrig, dass es kaum noch Spielraum für Verbesserungen gibt. Die Prognosen der Forscherenden deuten darauf hin, dass sich die Sterblichkeit in den älteren Altersgruppen nicht schnell genug verbessern wird, um diesen Rückgang auszugleichen.
Von 1900 bis 1938 stieg die Lebenserwartung mit jeder neuen Generation um etwa 5½ Monate. Für die zwischen 1939 und 2000 Geborenen verlangsamte sich der Anstieg je nach Prognosemethode auf etwa 2½–3½ Monate pro Generation.
Fazit
Die Studienautoren halten dieses Ergebnis für sehr robust. Selbst wenn sich die Überlebensrate bei Erwachsenen und älteren Menschen doppelt so schnell verbessern würde, wie in den Prognosen vorhergesagt, würden die Gewinne bei der Lebenserwartung denen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht entsprechen.
Prognosen mit Unsicherheiten: Lebenserwartung bleibt schwer vorhersehbar
Prognosen zur Sterblichkeit können niemals sicher sein, da sich die Zukunft auf unerwartete Weise verändern kann. Ereignisse wie Pandemien, neue medizinische Behandlungsmethoden oder gesellschaftliche Veränderungen können die tatsächliche Lebenserwartung erheblich beeinflussen. Folglich kann die Lebenserwartung von den erwarteten Trends abweichen. Prognosen sollten daher immer als fundierte Schätzungen betrachtet werden. Zu beachten ist außerdem, dass diese Prognosen für Bevölkerungsgruppen gelten, nicht für Einzelpersonen.
Lebenserwartung als Faktor für Politik und Planung
Veränderungen der Lebenserwartung wirken sich auf den sozialen Zusammenhalt und die persönliche Lebensplanung aus. Regierungen müssen Gesundheitssysteme, Rentenplanung und Sozialpolitik entsprechend anpassen. Gleichzeitig beeinflusst die Lebenserwartung persönliche Entscheidungen über Sparen, Ruhestand und langfristige Planung. Steigt die Lebenserwartung langsamer, müssen sowohl Regierungen als auch Einzelpersonen möglicherweise ihre Erwartungen für die Zukunft anpassen.
Wichtige Fragen zur Lebenserwartung (FAQ):
Im 20. Jahrhundert sank vor allem die Kindersterblichkeit, was die Lebenserwartung stark erhöhte. Heute sind diese Verbesserungen weitgehend ausgeschöpft, sodass das Wachstum stagniert.
Laut Studien erreichen Menschen, die zwischen 1939 und 2000 geboren wurden, die 100 Jahre im Durchschnitt nicht mehr. Ihre Lebenserwartung steigt deutlich langsamer als zuvor.
Forscher arbeiten mit verschiedenen Verfahren, darunter Lee-Carter, UN-Bevölkerungsprognosen oder kohortenbasierte Modelle. Alle zeigen ähnliche Trends einer Verlangsamung.
Ja, Durchbrüche in der Medizin könnten die Prognosen ändern. Allerdings sind Verbesserungen in jungen Jahren kaum noch möglich, sodass große Zugewinne schwer erreichbar sind.
Eine veränderte Lebenserwartung beeinflusst Rentensysteme, Gesundheitsversorgung und persönliche Lebensplanung. Regierungen und Individuen müssen ihre Strategien anpassen.
Quellen
Literatur: Andrade J et al. Proc Natl Acad Sci U S A 2025; 122: e2519179122. DOI: 10.1073/pnas.2519179122
Quelle: Max-Planck-Institut für demografische Forschung