Ob Ärztin, Rechtsanwältin oder Handwerkerin

Mutterschutz für Selbstständige: Koalition plant Reform

Selbstständige Frauen sollen künftig Anspruch auf Mutterschutz erhalten – analog zu angestellten Arbeitnehmerinnen. Der Koalitionsvertrag von Union und Sozialdemokratischer Partei Deutschlands (SPD) sieht eine Reform vor, die eine überfällige Gerechtigkeitslücke schließen soll. Unternehmerinnen wie Johanna Röh kämpfen seit Jahren für faire Bedingungen.

Zwei Schwangerschaftsbäuche
Mutterschutz für Selbstständige: Der Koalitionsvertrag greift eine langjährige Forderung von Unternehmerinnen auf. (Reicher/stock.adobe.com)

Selbstständige Frauen sollen endlich den gleichen Mutterschutz wie Angestellte erhalten. Die neue Bundesregierung will die Unterstützung für schwangere Unternehmerinnen verbessern.

Alfhausen (dpa) – Als die Tischlermeisterin Johanna Röh vor 3 Jahren eine Tochter bekam, merkte sie schnell, dass sie als Unternehmerin mit Kind nicht ins System passt. Denn während Mutterschutz und Elternzeit bei Angestellten kein Problem ist, ist die Situation bei Selbstständigen deutlich komplizierter. 

Röh engagiert sich seit ihrer eigenen Schwangerschaft dafür, dass sich das ändert – und freut sich nun über einen Etappenerfolg: Der Mutterschutz für Selbstständige wurde im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD aufgenommen.

Was die Koalition konkret plant

In dem Papier heißt es auf Seite 104 unter Punkt 3247: «Wir wollen einen Mutterschutz für Selbstständige analog zu den Mutterschutzfristen für Beschäftigte einführen.» Dazu sollen zeitnah umlagefinanzierte Finanzierungsmodelle geprüft und mit der Versicherungswirtschaft Konzepte für die Absicherung der betroffenen Betriebe entwickelt werden. 

Es bewegt sich also was bei dem Thema. «Wenn ich angestellt gewesen wäre, dann hätte ich direkt ein Beschäftigungsverbot bekommen, weil wir schwer heben und mit gefährlichen Stoffen oder vibrierenden Maschinen arbeiten», sagt Röh. Das Problem: Sie hatte sich erst kurz vor ihrer Schwangerschaft im niedersächsischen Alfhausen nördlich von Osnabrück selbstständig gemacht – eine 10-monatige Pause wegen der Schwangerschaft hätte das Aus für ihren Betrieb bedeutet. 

Warum der Mutterschutz bisher nicht greift

Rechtlich ist die Situation in Deutschland derzeit so, dass selbstständig tätige Frauen zwar Elterngeld beantragen können, sie aber weder einen Anspruch auf die gesetzlichen Mutterschutzfristen noch auf die Zahlung von Mutterschutzgeld haben. 

Wer Leistungen will, muss eine private Krankentagegeldversicherung abschließen. Aber dabei gibt es zahlreiche Ausschlusskriterien – nicht jede Selbstständige bekommt einen solchen Vertrag. 

Wer als Selbstständige freiwillig bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichert ist, erhält zwar während der Mutterschutzfristen Mutterschaftsgeld in Höhe des Krankentagegeldes der Krankenkasse – aber nur, wenn der Krankentagegeld-Anspruch mit abgesichert ist. 

Petition und Engagement aus der Praxis

Zusammen mit anderen Frauen brachte Röh eine Petition im Deutschen Bundestag ein. Mehr als hunderttausend Unterschriften seien gesammelt worden, berichtet die 37-Jährige. Sie habe vor dem Petitionsausschuss gesprochen — der Ball war ins Rollen gekommen. 

Auch ein Verein wurde gegründet, der inzwischen fast dreihundert Mitglieder in ganz Deutschland habe, sagt Röh. Die Frauen kommen aus allen Berufsfeldern – denn die Probleme sind für alle Selbstständige mit Kinderwunsch gleich, ob für eine Ärztin, Rechtsanwältin oder Handwerkerin. 

Ein Etappensieg – aber noch kein Ziel erreicht

Es sei für sie und ihre Mitstreiterinnen ein wichtiges Zeichen, dass ihr Anliegen im Koalitionsvertrag aufgegriffen wurde, sagt Röh. Auch wenn klar sei, dass es bis zu einer endgültigen Umsetzung noch ein weiter Weg sei. Jetzt gehe es darum, kleine Schritte zu machen, etwa erst das Einkommen abzusichern, danach branchenspezifische Lösungen zu entwickeln. Denkbar seien Betriebshelfer, wie schon in der Landwirtschaft üblich.

Derzeit ist das Krankentagegeld für Selbstständige die einzige Möglichkeit der Absicherung. Aber das sei mit vielen Ausschlusskriterien verbunden, kritisiert Röh, und es decke nur einen Teil der Lebenshaltungskosten. Betriebskosten seien nicht abgedeckt. 

Umlagefinanzierung als mögliche Lösung

Sie sei wegen ihrer Schwangerschaft kurz nach Beginn ihrer Selbstständigkeit monatelang ausgefallen, habe Aufträge deshalb nicht abschließen können, erzählt die Tischlermeisterin. Die Fixkosten hätten sich aufgetürmt. «Am Ende war es wirklich so, dass ich erst anderthalb Wochen vor der Entbindung wusste, okay, ich kann wirklich 2 Monate Pause machen, ohne meinen Betrieb schließen zu müssen.»

Sinnvoll hält Röh eine Finanzierung über eine Umlage – ähnlich wie beim Mutterschutz für Angestellte. Diese Forderung wird zum Beispiel auch vom Verband der Unternehmerinnen in Deutschland geteilt. «Wir befürworten eine solidarisch umlagefinanzierte Lösung, die alle Selbstständigen – Frauen wie Männer – einbezieht und der Lebensrealität selbstständiger Frauen und Unternehmerinnen gerecht wird», erklärt Verbandssprecherin Viktoria Keltenich.

Mutterschutz als wirtschaftspolitische Notwendigkeit

Mutterschutz für Selbstständige sei keine Frauensache, sondern eine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Notwendigkeit. Die im Koalitionsvertrag angekündigte Reform schließe eine überfällige Gerechtigkeitslücke und stärke die Gründungskultur, sagt Keltenich.

Röh hofft, dass die Gleichstellung von selbstständigen und beschäftigten Frauen beim Mutterschutz noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt wird. Eigentlich hätten sie und ihr Mann noch gern ein zweites Kind. Aber wegen der schwierigen Situation für sie als Selbstständige habe sie davon Abstand genommen, sagt Röh.

Von Elmar Stephan


Quellen

dpa