Weite Wege, hohe Kosten, Stigma
Millionen Frauen in Deutschland haben keinen wohnortnahen Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch. Die Versorgung ist lückenhaft, die Kosten oft hoch – und gesellschaftliche Stigmatisierung belastet zusätzlich. Besonders in Süddeutschland sind die Wege weit. Eine Studie zeigt, wie dringend Reformen bei Beratung, Kostenübernahme und rechtlicher Absicherung nötig sind.

Inhaltsverzeichnis
- Studie zeigt: Versorgungslücken in Süd- und Westdeutschland
- Stigmatisierung belastet Betroffene psychisch
- Hohe Kosten und wenig Information als weitere Hürden
- Unklare Regelungen zur Kostenübernahme
- § 218: Strafrechtliche Einordnung erschwert Versorgung
- Politische Reformen stagnieren
- FAQ: Versorgungslücken beim Schwangerschaftsabbruch in Deutschland
Die medizinische Versorgung von ungewollt Schwangeren ist in einigen Regionen Deutschlands lückenhaft. Das geht aus der jüngsten «Elsa»-Studie hervor. Demnach haben Betroffene im Süden und Westen Deutschlands, vor allem in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern, Probleme, Angebote zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen zu erreichen.
Laut der Elsa-Studie lebten insgesamt 4,5 Millionen Menschen in Deutschland in Gebieten, die mehr als 40 Minuten mit dem Auto von der nächsten Einrichtung für einen Schwangerschaftsabbruch entfernt sind. Das entspreche 5,4% der gesamten Bevölkerung, schreiben die Forscher. Von diesen 4,5 Millionen Menschen wohnten allein 2,5 Millionen in Bayern, was 19,2% der dortigen Bevölkerung entspreche.
Studie zeigt: Versorgungslücken in Süd- und Westdeutschland
Insgesamt stellten die Forscher für 85 von 400 Landkreisen eine nicht ausreichende Erreichbarkeit von Einrichtungen fest. Unter diesen 85 befänden sich 43 in Bayern sowie jeweils 8 in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.
«Die Ergebnisse zeigen, dass in einigen Regionen Deutschlands für einen Teil der Bevölkerung keine ausreichende Erreichbarkeit von Angeboten zum Schwangerschaftsabbruch gegeben ist», schreiben die Autoren, darunter Wissenschaftler der Hochschule Fulda und der Uni Leipzig.
Für das Forschungsprojekt mit dem Titel «Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung (Elsa)» wurden 4.589 Frauen mit mindestens 1 Kind unter 6 Jahren repräsentativ befragt. Auch offiziell verfügbare Daten, etwa die des Statistischen Bundesamts und Daten aus früheren Erhebungen, sind in die 1.000 Seiten umfassende Studie eingeflossen.
Stigmatisierung belastet Betroffene psychisch
Aus der Befragung von Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch hinter sich haben, geht hervor, dass sich ein Großteil von ihnen stigmatisiert fühlt. Über entsprechende Gefühle berichteten 83,5% der Betroffenen.
Diese Stigmatisierung habe «erhebliche Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden und den Zugang zur Versorgung von Frauen», heißt es.
Hohe Kosten und wenig Information als weitere Hürden
Neben den gesellschaftlichen Vorurteilen und der teils schwierigen Erreichbarkeit von Angeboten sehen sich ungewollt Schwangere laut Bericht auch mit weiteren Hürden konfrontiert – etwa mit hohen Kosten und zu wenig Informationen. Auch die Abschaffung des sogenannten Werbeverbots für Abtreibungen durch die ehemalige Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP habe nicht dazu geführt, dass Ärztinnen und Ärzte bislang in ausreichendem Maße auf ihren Webseiten über den Eingriff informierten, halten die Forscher fest.
Auch beim Thema Kostenübernahme weisen die Forscher auf große Hürden hin. In Deutschland werden die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs nur in Ausnahmefällen – etwa nach einer Vergewaltigung oder bei medizinischer Indikation – von den Krankenkassen übernommen. Unter einer bestimmten Einkommensgrenze können die Kosten nach Antrag erstattet werden.
Bei Frauen, die den Abbruch selbst bezahlen müssen, variierten die Ausgaben dem Bericht zufolge erheblich: Knapp jede zehnte Befragte zahlte bis zu 200 Euro für den Eingriff. Etwas mehr als die Hälfte (53,1%) musste zwischen 201 und 399 Euro aufbringen. Etwa ein Drittel gab Kosten in Höhe von 400 bis 599 Euro an. Knapp 8% der Befragten erklärte, mehr als 600 Euro gezahlt zu haben.
Unklare Regelungen zur Kostenübernahme
Insgesamt seien knapp die Hälfte der befragten Frauen für die Kosten des Abbruchs selbst aufgekommen. «Obwohl die rechtliche Regelung eine Kostenübernahme für Frauen unter einer bestimmten Einkommensgrenze vorsieht, zeigen unsere Ergebnisse, dass finanzielle Barrieren nach wie vor ein erhebliches Hindernis darstellen», bilanzieren die Forscher. Dies gelte insbesondere auch für Frauen, die längere Wege zu Einrichtungen in Kauf nehmen müssten.
Die schwarz-rote Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, die Kostenübernahme bei Schwangerschaftsabbrüchen durch die Krankenkassen auszuweiten. Wie genau dies umgesetzt werden soll, ist noch unklar.
§ 218: Strafrechtliche Einordnung erschwert Versorgung
Auch Sicht der Autoren hängt die Stigmatisierung von Betroffenen und die Versorgung mit Angeboten auch eng mit der aktuellen Gesetzeslage zusammen. Sie betonen, dass der Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch im Abschnitt «Straftaten gegen das Leben» und damit neben Mord und Totschlag angesiedelt sei. Diese rechtliche Verortung habe «direkte Auswirkungen auf den Zugang zur medizinischen Versorgung», weil sie Sonderregelungen unterliege und rechtlich ungenügend abgesichert sei, heißt es.
Die Regelungen des entsprechenden Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch brächten Ärztinnen und Ärzte «in eine unsichere Lage». Eine Reform oder Abschaffung des Paragrafen könne «das Arbeitsumfeld für Medizinerinnen und Mediziner entscheidend verbessern und den Zugang für Frauen erleichtern», schreiben die Autoren.
Politische Reformen stagnieren
In der vergangenen Legislaturperiode hatte es unter der Bundesregierung von Grünen, FDP und SPD eine Abgeordneteninitiative zur Abschaffung des Paragrafen gegeben. Allerdings hat es der entsprechende Gesetzentwurf nicht mehr durchs Parlament geschafft. Die aktuelle schwarz-rote Bundesregierung plant vorerst keine Liberalisierung des Abtreibungsrechts.
FAQ: Versorgungslücken beim Schwangerschaftsabbruch in Deutschland
Laut der Elsa-Studie leben rund 4,5 Millionen Menschen in Deutschland mehr als 40 Minuten von der nächsten Einrichtung für einen Schwangerschaftsabbruch entfernt. Besonders in Bayern, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ist die medizinische Versorgung lückenhaft.
Viele Frauen berichten nach einem Schwangerschaftsabbruch von Stigmatisierung. Laut Studie fühlen sich mehr als 80 % psychisch belastet. Dieses gesellschaftliche Tabu erschwert den Zugang zu Informationen, medizinischer Versorgung und Beratung erheblich.
Die Kosten variieren zwischen etwa 200 und 600 Euro. Nur in Ausnahmefällen übernehmen die Krankenkassen die Kosten, zum Beispiel nach einer Vergewaltigung oder bei medizinischer Indikation. Unterhalb einer Einkommensgrenze ist eine Kostenübernahme nach Antrag möglich – trotzdem tragen fast die Hälfte der Betroffenen die Kosten selbst.
Der Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland nach § 218 Strafgesetzbuch als Straftat eingeordnet, steht damit im Abschnitt „Straftaten gegen das Leben“ neben Mord und Totschlag. Diese rechtliche Verortung schafft Unsicherheit für Ärztinnen und Ärzte und wirkt sich negativ auf die Versorgungslage aus.
Eine Ausweitung der Kostenübernahme durch Krankenkassen ist im Koalitionsvertrag vorgesehen. Eine weitergehende Liberalisierung, wie die Abschaffung von § 218, wird derzeit von der Bundesregierung jedoch nicht verfolgt. Damit bleibt die Reformdebatte politisch festgefahren.
Quellen
Von Fatima Abbas, dpa